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Umspannwerk

Irgendein Mittwoch im Oktober 2008, gegen Ende der Vorlesung Elektroanlagenprojektierung. Dr. Hentschel beendet die Vorlesung mit dem Austeilen der Hausaufgabe. Diese besteht aus einem DIN A3-Bogen mit der Single-Line-Darstellung eines 110 kV-Abgangsschaltfeldes und den Rissdarstellungen diverser Schaltgeräte. Die Aufgabe: Die Geräte auf dem Blatt unter der Beachtung der entsprechenden normativen Abstände möglichst kompakt anzuordnen. Er beendet die Stunde mit dem Satz: ... seien Sie dann auch kreativ, denken Sie sich etwas Neues aus.

Skizze des Abgangsschaltfeldes nach Aufgabenstellung

Skizze des Abgangsschaltfeldes nach Aufgabenstellung

Die Anfänge

Da Konstruktion auf einem Blatt Papier eher umständlich ist, gerade was die exakte Vorgabe von Abständen betrifft, habe ich die Geräte kurzerhand in (der freien Version von) QCAD nachgebaut und dort virtuell verteilt. War so auch viel einfacher, die Annäherungszone und die Gefahrenzone einzutragen. Damit die Aufbauskizze im Maßstab 1:100 druckerkompatibel (also nicht breiter als ungefähr 250 mm) blieb, musste die zweite Sammelschiene leider eingespart werden. Nach Aufgabenstellung waren nur Klapp- und Drehtrenner gegeben, aus Platzgründen sind Pantographentrenner viel effektiver, so dass ich diese für die Verbindung zur Sammelschiene eingesetzt habe (auch wenn dass in der 110 kV vielleicht noch etwas übertrieben ist, dafür sehen die Dinger viel cooler beim Schließen aus).

CAD-Seitenansicht der Hausaufgabe

Seitenansicht des Abgangsfeldes nach Aufgabenstellung (mit nur einer Sammelschiene). Die roten und grünen Linien geben die Gefahren- und die Annäherungszone bezogen auf den Leistungsschalter bzw. den Erdboden an.

Mein Entwurf war mir noch zu theoretisch und durch diverse Feiertage (in Sachsen gibt es im Herbst ja noch einige, die in den anderen protestantischen Bundesländern schon längst weg rationalisiert wurden) und den damit einhergehenden Vorlesungsausfall hatte ich genügend Zeit, richtig kreativ zu sein und das Umspannwerk mit Legos zu realisieren, wobei ich noch über ein Internetauktionshaus meine Sammlung an Lego-Steinen zielgerichtet ergänzen musste. Aus Zeit- und Materialmangel ließ sich das Schaltfeld nur einphasig aufbauen. Durch einen kleinen Fehler bei der Umrechnung der realen Abstände auf den Lego-Maßstab entstand das Schaltfeld dann versehentlich für eine Nennspannung von 150 kV.

Zur nächsten Vorlesung Elektroanlagenprojektierung konnte ich dann neben der Skizze auch das Abgangsschaltfeld zum Anfassen präsentieren, was im Kurs für ziemliche Erheiterung gesorgt hat. Beim Mittagessen in der Mensa wollte ich einer Freundin dann auch das Schaltfeld zeigen und fing an, es auf dem Mensatisch aufzubauen, wobei von unseren Nachbarn beim Anblick der bunten Steinchen nur der Kommentar kam: Ach du Scheiße! Ich glaube, jetzt geht es los!

Abgangsfeld 380 kV dreiphasig

150 kV als Nennspannung für ein Umspannwerk ist nichts Halbes und nichts Ganzes (zumindest in Bezug auf deutsche Energieversorger) und einphasig ist auch nicht so toll, also lag nahe, das Schaltfeld »richtig« aufzubauen. Richtig bedeutet dann natürlich, alles für die höchste deutsche Spannungsebene zu dimensionieren.

Bei dieser Erweiterung wurde die Verschaltung auch überarbeitet. Direkt am Abgang wurden Überspannungsleiter eingefügt, um einen Schutz gegen Spannungsüberhöhungen auf der Freileitung zu gewährleisten. Der Spannungswandler gehört nicht mehr zur Freileitung sondern zum Umspannwerk (durch Verschiebung auf die andere Seite des Abgangtrenners). Damit kann der Distanzschutz in dem Feld bei geöffnetem Abgangstrenner immer noch rückwärtige Fehler erkennen.

Geplantes Abgangsschaltfeld in Single-Line-Darstellung

Konstruktionsziel des Abgangssschaltfeldes aus Legos. Die Beschriftung erfolgte nach der aktuellsten Norm, es wurde ein Überspannungsableiter hinzugefügt und der Spannungswandler befindet sich jetzt innerhalb des trennbaren Bereichs.

Fotoansichten

Prototypsansicht des Abgangtrenners

Einphasiger Prototyp des Abgangtrenners zur Abstandsbestimmung. Die zylindrischen Sonden an den Lagern haben es nicht in die finale Version geschafft.

 

Prototypsansicht der Sammelschienentrenner

Prototypansicht der Sammelschienentrenner. Die Stromschiene zwischen Pantographentrenner und Leistungsschalter wurde später auch ersetzt.

 

Aufsicht auf das fertige Abgangsschaltfeld (inklusive Sammelschienenabschnitte)

Aufsicht auf fertige Abgangsschaltfeld für Un = 380 kV mit zugehörigen Sammelschienenabschnitten und Abspannportal

 

Frontalansicht von Portal zu den Sammelschienen

Frontalansicht des Abgangschaltfeldes vom Abspannportal zu den Sammelschienen

 

Blick auf die Sammelschienentrenner

Finale Realisierung der Sammelschientrenner mit Kommutierungskontakten an den Sammelschienen. Auf dem Foto sind gerade wegen eines Sammelschienenwechsels alle sechs Trenner geschlossen (und natürlich weil es eindrucksvoller aussieht).

 

Blick auf die Isolatorenketten am Abspannportal

Blick vom Abspannportal über die Isolatorenketten ins Schaltfeld

 

Zwei Schafe mit Hirte ziwschen den Sammelschienen

Jeder, der Elektroenergieanlagen bei Prof. Winkler gehört hat, weiß, dass in ein Umspannwerk auch Schafe gehören, die vollautomatisiert das Gras kurz halten, ohne dass ein bedauernswerter Mitarbeiter des EVU dort mit einem Rasenmähtrecker fahren müsste.

Größen

Das Modell des Abgangsschaltfeldes ohne Sammelschienenabschnitte und Portal misst

Zukünftige Entwicklungen

Allein das eine Abgangsschaltfeld aus Lego sieht schon recht imposant aus (meiner Meinung nach). Dennoch überlege ich, das Schaltfeld bei Gelegenheit (also vor allem Platz) auf den kompletten 380 kV-Teil eines Umspannwerks zu erweitern. Dazu gehören dann noch folgende Bereiche: